Don Isaak Abarbanel benutzte die Abendstunden zu seiner Lieblingsbeschäftigung. — Aufgeschlagen war vor ihm das Buch der Bücher, das Buch der Verheißung, der Trost der gläubigen Seelen, das nun seit Jahrtausenden den von dem niedern Dorngestrüpp des Lebens verwundeten Seelen Ruhe und Begeisterung verschafft hat. Wie Keiner vor ihm war er geistig in den Inhalt gedrungen, und, das nutzlose Gezänk um den Buchstaben verachtend, war es der alte Lebensgeist, der ihn aus den heiligen Schriften seiner Väter anwehete und seinem Gemüthe eine Weihe ertheilte, die ihn fähig machte, den niederen mönchischen Bestrebungen und Kabalen an FerdinandsFerdinand II. von Aragon, einer der "Katholischen Könige" Spaniens. Hofe mit der Macht intellectueller und religiöser Ueberlegung entgegen zu treten. Das beste Mittel, den Kampf, den niedere Seelen um eitle Glücksgüter eingehen, zu bestehen und dem Köder, mit dem sie die Edleren zu umstricken suchen, auszuweichen, ist, den Preis ihres Strebens gering zu halten, des Verlustes jeden Augenblick gewärtig zu sein und sein besseres Selbst höher als Alles, was der Mensch gewöhnlich schätzt, anzuschlagen. So wird unser höheres Leben Mittel und Zweck zugleich.

Das Buch der KönigeEines der Bücher des Alten Testaments, das die Geschichte der Könige Israels und Judas erzählt. war heute Gegenstand von Abarbanels Forschung, denn er liebte es, sich in die Zeiten des Ruhmes und der Selbstständigkeit seiner Nation zu versetzen, den Ursachen ihres Falles und ihrer Erhaltung nachzuspähen, und da er seinen Stammbaum bis zur königlichen Familie David'sKönig David, eine zentrale Figur in der jüdischen Geschichte und Tradition. zurückführte, so war ihm die Chronik der alten Könige Juda's auch zugleich eine Familienchronik.

Jehudah trat ein. Er erzählte dem Vater von seinem Besuche bei der jungen Verlassenen. Mit allem Feuer seines Geistes schilderte er ihre Gestalt, ihre Schönheit, ihre Tugend, die Bildung ihres Geistes, das Unglück ihrer Lage, — mit glühender Beredtsamkeit verlangte er außerordentliche Hülfe für sie und die Aufnahme in das väterliche Haus.

„Und wie steht es mit den anderen Nothleidenden, mein Sohn?“ fragte Abarbanel.

Jehudah erröthete und schwieg. Das reizende Mädchen hatte ihn alles Andere vergessen gemacht. Er fühlte den Vorwurf, der in des Vaters unverwandtem Blicke auf ihm lag, obgleich dieser nach etwas ganz Anderem in dem Gesichte seines Sohnes forschte. Es gehörte auch wahrlich ein weniger großer Scharfsinn dazu, als ihn der Geheimrath besaß, um einzusehen, daß der Eindruck des Besuches ein größerer gewesen, als ihn bloßes Mitleid erregte. Abarbanel war nicht frei vom Stolze, der der Charakter der spanischen Juden war und in ihren Nachkommen noch jetzt ist, und mit dem sie namentlich auf ihre Glaubensgenossen in Frankreich und Deutschland herabsahen. Freilich hatten diese auch gewissermaßen die Verachtung verdient; durch die ewige Kette von Unglücksfällen, die ihre großen, und durch die Neckereien, die ihre kleinen Feinde über sie verhängten, waren sie in körperlichen und geistigen Verfall gerathen, und es war an ihnen das Wort der Schrift erfüllt worden: „Den Uebergebliebenen werde ich Feigheit ins Herz legen in dem Lande ihrer Feinde, die Stimme eines rauschenden Blattes wird sie verfolgen, sie werden fliehen, wie wenn das Schwert drohet, und fallen, da sie Niemand verfolget.“

So, in beständiger furchtsamer Aufregung, der Mittel eines edeln Aufkommens beraubt, schnöden Wucher mit Geistlichen und Großen treibend, entbehrten auch ihre geistigen Bestrebungen der höhern, gediegenern und wissenschaftlichern Richtung, wie es bei den spanischen Juden der Fall war. Abarbanel sah die Lebhaftigkeit, welche eine deutsche Jüdin in seinem Sohne erregt hatte, mit Mißbehagen; er machte ihm keinen Vorwurf der Versäumniß der übergebenen Aufträge, aber er hörte aufmerksam des Jünglings Reden zu und sein Entschluß war gefaßt. „Da dein Schützling, für den du dich wärmer als sonst verwendest, vorerst vor drückendem Mangel bewahrt ist, so überlasse mir das Weitere.“ So verabschiedete er den betroffenen Sohn.