„In der Angst ruf' ich die Gottheit an, der Gottheit Antwort schuf mir Raum!"
„Der Herr mit mir, so fürcht' ich nichts, was kann der Mensch mir thun?"
„Der Herr mir zu meiner Hülfe, und ich seh' auf meine Feinde nieder."
„Besser ist's, dem Herrn vertrauen, als auf Menschen sich verlassen!"
„Besser ist's, dem Herrn vertrauen, als auf Fürstenwort zu bauen!"
„Umgeben auch die Völker mich, beim Ewigen, ich vernichte sie!"
„Umgeben sie von allen Seiten mich, beim Ewigen, ich vernichte sie!"
„Umgeben sie wie Bienen mich und drängen wie das Dornenfeuer, beim Ewigen, ich zerhaue sie!"
„Man stürzt auf mich, daß ich fallen soll, doch mein Gott ist meine Stütze!"
„Mein Sieg, mein Saitenspiel ist Gott, er wird zum Retter mir!"
„Dann ist Sieg und Freudengesang in den Zelten der Gerechten, Hallelujah!"
So sang am Abende des folgenden Tages der Arzt David Arama, dabei weinten seine Augen, und die Thränen rollten über die trockene Wange auf das Buch herab, durch die Thränen sah der Blick nach oben. Er saß aber in einem Lehnstuhle auf seidenem Polster, sein Haupt ruhete in der Hand des auf den Tisch gestützten Armes, er hatte seine Feierkleider angelegt, ein prächtiges blauseidenes Oberkleid, der Turban strotzte von Perlen. Auf dem mit einer seidenen, silberdurchwirkten Decke des Tisches standen eine silberne Schüssel, mit grünen Kräutern umkränzt, drei weiße PassahkuchenUngesäuerte Brote, die während des jüdischen Pessachfestes gegessen werden. enthaltend, ein silberner Pokal voll reinen Malaga'sEin süßer Dessertwein aus der spanischen Region Málaga. und vier Leuchter mit brennenden Wachskerzen.
Dinah saß neben ihm. Die Trauerkleider hatte sie heute abgelegt, denn das heilige OsterfestHier ist das jüdische Pessachfest gemeint, nicht das christliche Osterfest. war gekommen, das Fest der Befreiung aus der Knechtschaft Aegyptens, ein weißes seidenes Kleid umschloß ihre Glieder, an der Stirn prangte ein Diadem, denn Arama wollte sie heute als Königin geschmückt sehen, da am Tage der Befreiung Israels Kinder sich als Fürsten wähnen sollen; darum hatte er den Schmuck und einen silbernen Gürtel aus dem Schreine hervorgesucht. Joseph saß auf Dinah's Knie, sie erklärte ihm die zierlich gemalten Bilder im Buche, — hier den brennenden Dornbusch, dort den Untergang Pharao's; Sara aber schlummerte wie ein schuldloser Engel im Divan.
Feiere, armes Volk, dein Fest der Freiheit, die du am NilusDer Nil, der längste Fluss Afrikas, der durch Ägypten fließt. errangest. Dünket euch Könige, bedauerungswürdige Sklaven! Jahrtausende rollten in den Strom der Zeiten, und ihr habt das Gut schon längst verloren, um das ihr heute Dankespsalmen singet. Hört ihr nicht das Rasseln der neuen Ketten, die euern wunden Gliedern angelegt werden sollen. Horcht, die Feuer knistern schon zum Opferlamme!
„Es ist doch ein erhabener Gedanke, meine Dinah," bemerkte jetzt Arama, „und besonders für mich, der ich die Welt gesehen, — der Gedanke: heute sitzen wir, Israels Kinder, vom Ufer des EuphratEin Fluss in Mesopotamien, der im heutigen Irak fließt. an, ja vielleicht in Indiens reichem Lande, wohin die zehn Stämme vertrieben worden, bis zum TejoEin Fluss auf der Iberischen Halbinsel, der durch Portugal fließt., und danken einem Gotte und feiern ein Fest, und Alle auf dieselbe Weise mit heiligen Gebräuchen."
„Aber auch mit denselben frommen Gesinnungen, wie Ihr, guter Vater?" Arama zuckte die Achseln. „Vielleicht nicht alle, meine Dinah, aber doch viele noch inbrünstiger. Ach, das heutige Fest war oft schon ein Thränenfest, wir an demselben, bei dieser häuslichen Familienfreude, der schauderhaftesten Verbrechen beschuldigt, die keines Israeliten Gedanken fassen, viel weniger seine Hände verüben können. An diesem Tage der Befreiung erschien der Tod schon oft als libertadorSpanisch für "Befreier"., aber nicht auf dem ruhigen Bette, auf dem prasselnden Scheiterhaufen, von der Hand des Henkers, oder führte durch das rothe Meer eines schrecklichen Blutbades zum Lande der Verheißung."
Jetzt unterhielt er Dinah mit der Erzählung früherer Schicksale, da rauschte es plötzlich im Vorsale, die Thür öffnete sich langsam und herein traten spanische Soldaten, an ihrer Spitze drei Geistliche. Arama stand auf, bebend wie Espenlaub, sein Gesicht wurde todtenbleich; Dinah blickte wie erstarrt auf die Gruppe.
„Jude Arama, Ihr folget mir!" rief der eine der Geistlichen, der Mönch vom vorigen Abend, — „im Namen der heiligen InquisitionEine kirchliche Institution zur Bekämpfung von Ketzerei, besonders aktiv in Spanien während dieser Zeit.!"
„Ich bitte, liebe Leute, ein Irrthum, gewiß ein Irrthum, stammelte der Alte, — ich bin der wohlbekannte Arzt Rabbi David Arama, seit 20 Jahren hier die Kunst ausübend, — Juden, Christen, Mohamedanern helfend, — ein gewaltiger Irrthum, liebe Leute! Was will die heilige Inquisition von mir? ich bin ein Jude, ja ich bin ein Jude, — ein Jude, liebe Leute — ich feiere das Passah — hier sind die Osterkuchen, das ist meine Pflegetochter, das sind meine Kinder! wir sind alle Juden, nicht getauft, wir sind keine MarannosJuden, die zum Christentum konvertiert waren, aber im Geheimen weiterhin jüdische Praktiken ausübten., wir können keine angenommene Religion überschritten haben. Ein großer Irrthum, liebe Leute!"
Die Mönche erhoben ein teuflisches Gelächter. „Im Namen der heiligen Inquisition zögert nicht, Eure Schuld wird Euch an einem andern Orte genannt werden, jetzt endet Eure heidnischen Gebräuche und folget!"
Dinah trat vor, mit aller ihr angebornen Würde trat sie vor die Mönche. „Würdige Patres, störet nicht den Frieden des Frommen, nicht die Ruhe des Greises. Er ist unschuldig jedes Verbrechens, wie die Sonne so rein sein Wandel, vom frühen Morgen bis zum späten Abend erfüllt er das Werk des Tages."
„Wir haben über seine Schuld und Unschuld nicht zu richten, schönes Mädchen!" meinte der Eine, „wir gehorchen den Obern."
Die kleine Sara war erwacht und schrie laut auf beim Anblick der fremden Gesichter. Joseph klammerte sich um die Kniee des alten Vaters. „Ich lasse Euch nicht mit jenen Männern gehen," rief er laut, „das ist der häßliche Mönch vom Kloster da drüben, der Teufel, der die Kinder einholt, wenn sie nicht gehorchen." Dem Mönche mochte der Ehrentitel nicht gefallen. „Judenbrut!" grinste er.
Dinah aber warf sich ihm zu Füßen. „Nehmet mich zur Gefangenen, liebe Leute, die Verantwortung treffe mein Haupt. Er ist der Großvater verwaiseter Kinder. Bei allem Heiligen, ich will für ihn stehen!"
Arama trat jetzt gefaßter hervor. „Dinah, du bleibest, die Kinder erheischen deine Pflege, nimm sie und bewahre sie, die köstlichen Kleinode meines Lebens. Ich gehe, der Herr bei mir, nichts fürchte ich! es ist ein schwerer Gang, Dinah, doch „er führt mein Recht wie ein Licht hervor." — Nur noch eine kurze Zeit, ich folge gleich!"
Er trat zum Tische, sprach den Segensspruch und trank den Wein, er brach das Brot und theilte seinen Kindern davon mit, und sich gegen Morgen wendend und sich verneigend betete er: „Der Herr hüte dein Kommen und deinen Ausgang!" Darauf legte er seine Hand auf Dinah und Sara mit den Worten: „Der Herr segne euch und behüte euch, und schenke euch Frieden," und auf Joseph: „Der Engel, der mich aus allem Uebel erlöset, segne den Knaben, daß meiner Väter Name mit ihm genannt werde!"
Der Mönch stand bei diesen Worten wie versteinert da, ein krampfhaftes Zucken aller seiner Gesichtsmuskeln verrieth den innern Affect, den die hebräischen Worte bei ihm erregten. Arama aber küßte die Pergamentrolle an der Thürpfoste, und ohne wieder zurückzusehen, war er schnell zur Thür hinaus. Mönche und Soldaten folgten ihm und nahmen ihn in ihre Mitte. Dinah lag betend auf den Knieen, die Kinder neben ihr weinend und schluchzend. Der erste Abend des Osterfestes war vor über. Die Ketten rasseln, armes Volk! Und es erstand in Israel kein Prophet mehr, dem Mose gleich.