Zwei Throne standen in dem weiten mit rothem Sammt ausgeschlagenen Saale, dessen Decke mit Lorbeerkränzen geschmückte Säulen trugen. Ueber den Thronen erblickte man die Wappen AragoniensEines der christlichen Königreiche auf der Iberischen Halbinsel, das durch die Heirat von Ferdinand und Isabella mit Kastilien vereint wurde. und KastiliensDas größte christliche Königreich auf der Iberischen Halbinsel, das durch die Heirat von Isabella und Ferdinand mit Aragonien vereint wurde. in Gold gestickt, zwischen welchen ein goldnes, mit leuchtenden Brillanten besetztes großes Crucifix hing: ringsum standen die Großen der Reiche in glänzender Rüstung, auch durften die Priester in ihren schwarzen Gewändern nicht fehlen, so wie die Kanzler beider Königreiche in weißen Talaren. Königliche Leibwache besetzte die Eingänge. Draußen vernahm man das Gedränge in Santa=FeEine Stadt, die von den christlichen Königen während der Belagerung Granadas als Militärlager gegründet wurde., das Geschütz hatte sein schweres Spiel eingestellt.

Der Herzog von Medina SidoniaEin bedeutender spanischer Adelstitel. Die Herzöge von Medina Sidonia waren eine der mächtigsten Adelsfamilien Spaniens. führte jetzt die Gesandten Boabdelin'sAuch bekannt als Boabdil oder Abu Abdullah Muhammad XII., der letzte nasridische Emir von Granada. herbei, schöne, herrlich gewachsene Männer in himmelblauen Kaftanen, an der Seite die kurzen, reich mit Edelgesteinen besetzten Schwerter, auf dem Haupte mit Granaten gezierte Turbane. Wohl eine Stunde verging in feierlicher, erwartungsvoller Stille. Da trat FerdinandFerdinand II. von Aragon, einer der "Katholischen Könige" Spaniens. ein, an der Hand seine Gemahlin, die Königin von Kastilien, führend, und beide nahmen ihren Sitz auf den Thronen. Die Gesandtschaft wurde näher geführt. Mustapha, ein achtzigjähriger Greis, nahm das Wort.

„Der König des Himmels und der Erde, der Herr des Krieges und des Friedens, hat den Sieg in Eure Hände, christliche Könige, gelegt. Heute ist der Jahrestag der Schlacht von XeresVermutlich die Schlacht von Guadalete im Jahr 711, bei der die muslimischen Truppen die Westgoten besiegten und die muslimische Eroberung der Iberischen Halbinsel einleiteten., an welchem wir zuerst uns hier eine Heimath erkämpften und sie 871 Jahre behaupteten. Viel ist des Blutes geflossen zwischen unsern Urahnen und Vätern, die Tapferkeit der Völker des Ostens und des Westens hat sich in glänzenden Thaten offenbaret, aber auch die Künste des Friedens wurden von uns auf diesen gesegneten Boden verpflanzt, und als die Nacht der Unwissenheit in andern Ländern herrschte, pflegten wir das Licht der Wissenschaft und theilten es den christlichen Nachbarn mit. Der Glanz jener Tage ist verschwunden, — deine Waffen, tapferer König, und deine Weisheit, erhabene Königin, haben den Sieg errungen, längst schon sind unsere alten Königreiche vernichtet, Granada ist das einzige Denkmal unserer Größe und Macht wir sind bereit, auch seine Thore zu öffnen, gewiß, daß die königlichen Gebieter die Macht, welche der Herr ihnen verliehen, nicht durch allzustrenge Bedingungen mißbrauchen werden."

Nachdem der König eine Weile mit dem Kanzler gesprochen, erwiederte dieser den Gesandten:

„Eure Vorfahren haben den spanischen Boden nicht allein durch Gewalt der Waffen erobert — auch schnöder Verrath hat euch die Thore der Städte geöffnet und so wurden unsern tapfern christlichen Ahnen die Waffen aus den Händen gerungen. Sehet, die Wege der rächenden Vorsehung! An demselben Tage jener blutigen Schlacht steht Ihr vor den Thronen Aragonien's und Kastilien's um Gnade flehend, und würdet Ihr die Thore Eurer Stadt nicht freiwillig öffnen, so würde die Sonne nicht wieder aufgehen, ohne uns in Ihren Mauern zu sehen. Wohl wissen wir, daß Ihr außer mit den spanischen Waffen auch noch mit den Schlägen Gottes, mit Hunger und Krankheit, zu kämpfen habet, wohl wissen wir, daß die Bevölkerung gegen Boabdelin's Tyrannei murrt und nur mit Unwillen sein Joch trägt, aber die christlichen Könige lassen den Mauren sagen: Wir sind bereit Euch als unsere Unterthanen aufzunehmen, wenn noch heute die Schlüssel der Stadt und ihrer Burg uns übergeben werden, und wenn Boabdelin dem Titel und dem Wahne eines Königs, der nur christlichen Häuptern zukommt, auf immer zu entsagen gezwungen wird." Zu solchen Bedingungen hatte die maurische Botschaft keine Vollmacht. Es ward ihnen zwei Stunden Bedenkzeit gelassen.

TorquemadaTomás de Torquemada, der erste Großinquisitor der spanischen Inquisition. hatte indeß einige von ihnen zu sich eingeladen; an Verstellung gewöhnt, spiegelte er ihnen die gnädige Gesinnung seines Königs vor, er gab ihnen zu verstehen, daß Boabdelin's Entsagung für den König die Hauptbedingung wäre, daß man ihnen die Freiheit ihres Gottesdienstes und Verwaltung nach eigenen Gesetzen gewähren würde; er schien noch genauer mit der Lage Granada's bekannt zu sein, als der König, und alle Künste des Pfaffenthums wurden von ihm angewendet, sie zum Verrath gegen den unglücklichen Fürsten zu bewegen. Die Mauren waren in der letzten Zeit durch innere Zwistigkeit zerfallen, die Herrscher hatten schnell gewechselt, einer stürzte den anderen, nur Boabdelin war es gelungen, durch glänzende Eigenschaften ihre Treue zu fesseln und die Parteien zu beruhigen. Jetzt aber hatte der elfjährige Krieg die Großen ermüdet, sie gedachten, die im allgemeinen Schiffbruche erworbenen Reichthümer in Ruhe unter den christlichen Königen genießen zu können. Freiheit des Gottesdienstes und ihre eigene Verfassung nach alten Gesetzen, das waren zu köstliche Güter, um sie der Gefahr auszusetzen, sie durch eine fruchtlose Hartnäckigkeit zu verlieren. Entstand in ihnen zwar noch ein von Furcht und Scham gemischter Gedanke an Boabdelin, so wußten sie doch, daß die ausgehungerte Bevölkerung begierig auf Erlösung harre und daß es ein Leichtes sein würde, sich des von Allen verlassenen Herrschers zu entledigen. Gegen Torquemada's Versprechungen wollten sie die Stadt mit frühem Morgen übergeben, wenn König Ferdinand ihnen die feierliche Bestätigung gebe, und für den entthronten Fürsten ein seinem Stande gemäßes Auskommen ausgesetzt würde. Nach einigen Stunden brachte der Dominikaner das untersiegelte Ultimatum des Königs, der Waffenstillstand war bewilligt; sie kehrten nach Granada zurück.