... Schüttelt eure breiten Aeste, ihr Lorbeerbäume, schüttelt sie unwillig, daß ihr einem Fremdling Schutz und Schatten verleihet, ihr Lorbeerbäume heidnischer Götter, die ich verfluche, und die der Pöbelwitz JavansHebräischer Name für Griechenland bzw. die Griechen. und Rom's für heilig erklärt. Ich bin nicht gekommen, bei Euch Schutz und Rettung zu suchen, habe mich nicht geflüchtet in euer thörichtes Heiligthum: man hat mich hierher gedrängt mit freundlicher Hand, wem danke ich es? — Aus des Käfichts dumpfer Schwüle ward ich versetzt unter eure dichten Schatten, an die murmelnden Wellen des OrontesEin Fluss in Syrien, an dem Antiochia lag., wie geschah es? — —

Eines Morgens erhob sich das Eisengitter meines Nachbarn, des Löwen von TadmorDer alte semitische Name für Palmyra, eine antike Stadt in Syrien., wie von unsichtbarer Hand. Mit bedächtigem Schritt trat er vor, mit seinem Schweife peitschte er die Luft, er brüllte wie vor Erstaunen, dann hob er die Tatzen zu mächtigem Sprung, und in gewaltigen Sätzen rauschte er aus dem Käficht durch den langen engen Gang, bis er im fernen Dunkel einer geöffneten Thüre verschwand. Wieder hob sich ein Gitter, und sich schüttelnd entlief der Panther dem Gefängniß auf demselben Wege.

Da rauschte es und rauschte vorüber, bald ein brummender Bär, bald eine schrillende Tiegerkatze, bald ein heulender Wolf, ohn' Ende... Ich wußte, was es bedeutete. Das Kampfspiel sollte beginnen, und ich — ein Spielgenosse der Löwen und Bären werden. Eine sanfte Wärme floß bei diesem Gedanken in meiner Brust empor, und hüllte das Herz mir ein; es ward lebendig in der versteinten Brust, leise rang ein Seufzer aus der Tiefe sich auf, und drang als Thräne durch das trockne Auge. Der Schatten meiner MariamneEin traditioneller jüdischer Frauenname; die Frau des Erzählers. trat zu mir mit dem wieder genesenen Säugling, und ich weinte über ihre entgegengestreckte Hand, draußen standen mein Vater, meine Geschwister mit der ehrwürdigen Mutter, und winkten mir, und Schalom alechemHebräischer Gruß, bedeutet "Friede sei mit euch".! riefs aus meinem geöffneten Herzen — o, warum täuschtet ihr mich? warum kam ich nicht zu euch? — —

Bald trat der syrische Knecht zu mir ein, faßte mich bei der Hand, und führte mich — den langen, engen Gang, wo die Tatzen der Raubthiere ihre Spuren gelassen. Ich folgte ihm willig, und bald befand ich mich in der Badekammer. Ich wurde untergetaucht in erfrischendes Wasser, man salbte mich mit duftenden Oelen, und rieb den Körper mit Salben ein, man band eine Schürze um meine Lenden, und setzte einen Blumenkranz auf mein Haupt. Alsdann legte man ein kurzes Schwert in meine Rechte, eine PeltaEin kleiner, leichter, halbmondförmiger Schild, der von Amazonen und Thrakern verwendet wurde. an meine Linke, und geleitete mich in ein enges Gemach. Eine dünne Bretterwand schied mich von dem Kampfplatz. Draußen ertönte von Zeit zu Zeit die TubaEin römisches Blasinstrument, eine Art Trompete., dann ward es still, bis irgend ein Ungethüm hörbar ward, das heulend auf seine Beute stürzte; da vernahm ich das Knistern heftiger Tritte im Sande, das Rauschen des Kampfes, Schlürfen und Schleppen vom Weheruf des Kämpfers und Schmerzgeheul des Raubthiers unterbrochen, endlich erhob sich das Triumphgeschrei der Zuschauer, das langsam begann und immer höher schwoll, und mit dem Stampfen der Füße das Gebäude erschütterte; allmälig erlosch es wieder, Schritte gingen im Gange vorüber, Träger der geopferten Menschen und Thiere, eine Pause trat ein, bis die Tuba von Neuem schmetterte...

Kein Leben kam in meine Brust; es war wieder ruhig geworden in ihr; nur still erleichternd hob mich die Ahndung des Todes. Ich versank in mich selbst, aber kein Gedanke nach oben richtete sich auf. Der Gott Israels war sehr fern von mir, ich dachte sein nicht. Nicht der kühne Muth des Kampfes kam in das Herz, nichts als die Gewißheit des Sterbens. Auch nicht der draußen harrenden Menge erinnerte ich mich, kein Gefühl des Hasses, kein Trotz der Verachtung gen die blutigen Tyrannen durchfurchte meine Seele. Nichts als das süße Vorgefühl des Scheidens.

Plötzlich öffnete sich die Pforte zum Kampfplatz, die Thürhüter winkten mir, ich trat aufrecht und langsam heraus. Der Glanz der Sonne bedeckte den Raum vor mir, und schoß von dem weißen, blutgefärbten Sande in die geblendeten Augen. Ich schüttelte den Kopf, daß meine schwarzen Locken auf die entblößten Schultern sich legten. Ich schritt vor und stand still. Ein Ach! entfuhr den Lippen der schaulustigen Menge. Gegenüber saß unter einem Zelte auf erhöhter Bühne der ProkonsulEin römischer Statthalter einer Provinz des Reiches., und schoß racheglühende Blicke auf mich. Ich sah ihm ruhig entgegen, und senkte das Haupt auf die Brust. Der Römer winkte. Die Tuba ertönte. Die Pforte eines Zwingers öffnete sich. Heraussprang der Löwe von Tadmor, mein Nachbar. Wieder erscholl ein lautes Ach! aus dem Munde der Menge. Bei dem Schmettern der Tuba erhob sich der Löwe, erst langsam, dann in schnellen Sätzen umkreiste er mich, endlich mit einem Sprung stand er kampffertig mir gegenüber. Ich blickte meinem Gegner in's Angesicht, aber stand regungslos. Das Schwert hing nieder in meiner schlaffen Rechte, die Linke mit der Pelta ruhte auf dem Rücken. So erwartete ich, gelassen und ruhig, den Mordsprung des Löwen. Es durchfloß meine Glieder warm und leicht. Wir standen, Aug' in's Auge gesenkt. Groß starrte der Blick des Löwen in den meinen, der ruhig den Tod erwartete. Eine lange Pause. Ringsum keine Bewegung, kein Laut. Da senkte der Löwe sein Haupt, schüttelte wie verneinend seine Mähne, wandte sich um und ging langsam in den Zwinger zurück. Ein Freudengeschrei der Menge erhob sich zu den Lüften.

Aber der Prokonsul winkte verdrossen; gewaffnete Knechte begaben sich in den Zwinger, den Löwen zu reizen und hinauszujagen, dieser aber brüllte und schlug mit dem Schweife, packte mit der Tatze einen Knecht und riß ihm den Arm heraus. Gemurmel und Geschrei entstand, die Söldner warfen sich auf den Löwen, die Menge zerbrach die hölzernen Planken, ergoß sich in den Kampfplatz, und umwogte mich bald, der ruhig im Gewühle stand. Der Prokonsul erhob sich von dem Sitze, und gab Befehl, KohortenEinheiten der römischen Armee, bestehend aus etwa 500-600 Mann. vorrücken zu lassen. Da ergriffen mich im Nu starke Arme, eine zarte Hand faßte die meine, man warf eine ChlamysEin kurzer, leichter Mantel, der typisch für die griechische Kleidung war. um meine Schultern, riß den Kranz von meinem Haupt und bedeckte es mit einem griechischen Hute. In einem Augenblick war ich außerhalb der Arena. Aber man hatte meine Entfernung bemerkt, und schnelle Söldner eilten uns nach. Da hob man mich auf die Schultern starker Männer, eilenden Flugs ging es durch die verödeten Straßen; man watete durch den Orontes, man gelangte in den Lorbeerhain der DaphneEin Vorort von Antiochia, berühmt für seinen Lorbeerhain und den Apollotempel, der als Asyl (Zufluchtsort) diente., und legte mich nieder in den Schranken der Freistatt, des AsylsEin heiliger Ort, der als Zufluchtsort diente und in dem Verfolgte nicht ergriffen werden durften. in der Mitte des Haines. So schnell sie gekommen, waren die Männer verschwunden, ein Bündel voll Nahrungsmittel zurücklassend.

So ward ich versetzt aus dem dunkeln Käficht in den rauschenden Lorbeerhain, an die murmelnden Wellen des Orontes, mir selbst kaum bewußt. Wieder ist des Todes Flügelschlag über mein Haupt gezogen, und hat es nicht berührt. Aber eine kurze Frist. Schon umringen die Söldner des Römers das Asyl, jeden Ausgang versperrend. Wer mich hierher gebracht, er wird mich nimmer davon führen. Ihre Götzen schützen auch den gefangenen Juden — aber wie lange? Hier war es, wo der fromme Hohepriester OniasOnias III., jüdischer Hohepriester (ca. 185-175 v. Chr.), der nach seiner Absetzung nach Antiochia floh und dort ermordet wurde. flüchtete, laut anklagend die Feinde des Gottes Israels. Bald aber drang der Schmeichler in seine Freistatt, zog ihn freundlich hinaus, und sein Blut trank der Kiesel des Orontes. Ich harre, was werden wird?