Bald war ich an dem Eingange des Pallastes, wo Titus residirte. Durch Hallen und Gemächer, durch Wachen und Sklaven, durch TribunenHöhere Offiziere der römischen Armee, die einen Rang zwischen einem Centurio und einem Legaten innehatten., PrincipiliVermutlich "Principalis", ein Unteroffizier in der römischen Armee mit administrativen Aufgaben. und DecurionenOffiziere in der römischen Kavallerie, die eine Einheit von zehn Mann befehligten. hindurch, wurde ich geführt in das Speisezimmer des Cäsar. Auf bogenförmigem Ruhebett, um eine runde, mit Speisen beladene Tafel, lag Titus mit seinen Gästen, ihre Häupter waren mit Kränzen geschmückt, ihre Hände umschlossen goldene Becher, in denen der Wein aus ChiosEine griechische Insel, bekannt für ihren hervorragenden Wein. perlte.
Als ich eingetreten, erhob sich Titus mit halbem Leibe, und blickte mich lang an. „Du bist einer der ZelotenEine militante jüdische Gruppe, die gegen die römische Besatzung kämpfte., welche den Brand jenes Tempels verschuldet, den ich dem JupiterOberster Gott des römischen Pantheons. weihen wollte, der den Namen meines Vaters tragen sollte."
Ich habe mein Volk, meinen Heerd und meinen Glauben vertheidigt, so lange ich es vermochte.
„Warum bist du nicht herausgekommen auf meine Aufforderung mit den Edelen, die ich nach GophnaEine Stadt nördlich von Jerusalem, wohin Titus während der Belagerung jüdische Adlige schickte, die die Stadt verlassen wollten. sandte?"
So lange der Kampf noch währte, gehörte ich ihm. Ich hatte ihn nicht angefangen, konnte ihn nicht beenden, aber entziehen durfte ich mich ihm nicht, ich mußte bei ihm bleiben.
„Ihr habt eure Hände mit dem Blute eures eigenen Volkes befleckt. Du bist des Todes schuldig."
Meine Hand ist rein geblieben. Ich habe nur gegen Römer gefochten. Was Andere thaten, mögen sie selbst vertreten. Aber wo der Kampf entsponnen ist um sein Dasein, sein Recht und seinen Gott, wer kann da sagen: so weit und nicht weiter. Dann ist der Tod so nahe an mir vorübergegangen, ich habe ihm die Hand brüderlich entgegengestreckt, warum sollte ich sie jetzt nicht ergreifen, wenn sie mir geboten wird?
„Ich habe mir erzählen lassen die wundersame Weise, wie dich der Löwe im Kampfspiel verschont. Ich habe jetzt ein Anderes mit dir vor."
Was du beschlossen, es geschehe, so du es ausführen kannst.
„Du sollst leben bleiben bis — zu meinem Triumphzug. Mit Simon ben GiorasEiner der Anführer des jüdischen Aufstands gegen Rom, der nach der Zerstörung Jerusalems gefangen genommen wurde. sollst du dem Zuge der Besiegten in Trauerkleidern vorangehen. Dein Leben stehe dann in der Hand meines Vaters. *Bene imperatori*Lateinisch für "Auf das Wohl des Imperators/Kaisers" - ein Trinkspruch., Freunde!"
Und sie tranken das Wohl des Kaisers in gemischtem Chierweine bei meinem Schmerze. „Was meinst du?" frug mich Titus dann.
Schmeichler nennen dich den Großmüthigen, Titus, erwiederte ich. Und du bist kein Menschenschlächter, das weiß ich, wie die Meisten deines Volkes. Aber mir hast du deine Großmuth nicht erwiesen.
„Könige gingen schon vor dem Triumphwagen des Römers, und waren stolz darauf, und du findest es unbequem, du Unbedeutender?"
Ich bin ein unwissender Hebräer; auch ein Cäsar muß solche Unwissenheit verzeihen. Bei uns galt es stets für eine größere Wohlthat, den gefährlichen Feind dem Tode sogleich zu übergeben, als ihn gefesselt dem Pöbel zu zeigen, mit ihm zu prunken und ihn dann — zu schlachten. Doch wir sind rohe Barbaren, nach eurer Sprache.
„Solchen verzeihe ich auch die Sprache des Spottes. Geh, du bist zu deiner Bestimmung reif."
Die Pforte des CönaculumsEin Speisesaal in einem römischen Haus, in dem wohlhabende Römer ihre Mahlzeiten einnahmen. schloß sich hinter mir, und die Pforte des Gefängnisses öffnete sich vor mir.