Nach der SiesteMittagsruhe oder Mittagsschlaf, besonders in südlichen Ländern wie Spanien verbreitet. beschied der Herzog den Geheimrath zum Könige. Ferdinand und Isabella waren von den GrandenAngehörige des hohen spanischen Adels. des Königreichs umgeben; Alle waren auf Abarbanels Benehmen gespannt. Mit lauernden Augen umstanden die Geistlichen in verschiedenen Ordenskleidern die gekrönten Häupter. Abarbanel, trat ein. Unter der spanischen MantillaTraditioneller spanischer Schleier oder Umhang, meist aus Spitze oder Seide, der von Frauen getragen wird. Hier ungewöhnlich im Zusammenhang mit männlicher Kleidung verwendet. sah eine glänzende, fast ritterliche Kleidung, mit schweren goldenen Ketten zusammenhängend, hervor, sein Schritt war männlich und fest, er beugte ein Knie vor dem König und der Königin, die ihm aufzustehen winkten und zu sprechen erlaubten. Abarbanel näherte sich um etwas den Monarchen und begann seine Rede:
„Gnade und Verzeihung, mächtiger König, erhabene Königin! Es entbrenne Euer Zorn nicht über Euern Diener, wenn er vor den Ohren seiner Könige ein Wort spricht. Ew. Königliche Majestäten haben mir durch den edeln Herzog und den ehrwürdigen Pater das Edikt einhändigen lassen, welches sie über meine Glaubensgenossen zu ergehen für gut hielten; sie haben mir das Anerbieten der fortdauernden königlichen Gnade gemacht, wenn ich mein Schicksal von denen trenne, die durch diesen Befehl betroffen sind. Ich habe zu viele Beweise königlicher Huld erlebt, um nicht Vergebung von den großen Herzen der Monarchen zu erwarten, wenn ich vor den Füßen derselben und vor dieser erlauchten Versammlung um die Throne AragoniensAragón, historisches Königreich im Nordosten der Iberischen Halbinsel, das durch die Heirat Ferdinands von Aragón mit Isabella von Kastilien 1469 mit Kastilien vereinigt wurde. und CastiliensKastilien, historisches Königreich im Zentrum der Iberischen Halbinsel, das zusammen mit Aragón den Kern des vereinigten spanischen Königreichs bildete. ein Wort für die Unglücklichen spreche, denen ich durch Geburt und Glauben angehöre, wenn ich, das Glück des spanischen Staates und den Vortheil des königlichen Hauses seit einer Reihe von Jahren immer als die heiligste Angelegenheit meines Lebens und Wirkens betrachtend, ohne Zagen meines Herzens Meinung hier offenbare. Doch ich will nicht sprechen von dem Zutrauen, das Ew. Majestäten mir immer gnädigst zukommen ließen, ich will nicht erinnern, wie ich wegen des Verdachtes einer Verbindung mit dem Hause BraganzaPortugiesisches Adelsgeschlecht, das von 1640 bis 1910 die Königsdynastie Portugals stellte. und der castilischen Krone aus dem Lande meiner Jugend vertrieben, meiner Habe beraubt hier ankam. In die Erforschung des lebendigen Wortes Gottes vertieft, verließ ich auf Befehl meines Königs mein Erbtheil — das Haus Juda und Israel , um meine Kräfte dem Dienste Spaniens und seiner erhabenen Herrscher zu weihen. An alles dies erinnere ich nicht, wenn ich um Gnade für meine unglücklichen Brüder flehe. Ich habe meinen Lohn erhalten, das Vertrauen meines Königs, Ehre und Reichthum, die sich der Mensch zum Leben erwirbt. Mein königlicher Herr! Wir sind nicht Fremdlinge in einem uns fremden Lande, wir sind Söhne Spaniens. Noch vor der Zeit, wo Euere tapfern Vorfahren, vom hohen Norden kommend, dies herrliche Land betraten, noch vor der Zeit, wo die Söhne der Wüste, die jetzt durch spanische Tapferkeit bezwungen sind, hier eindrangen, waren wir seßhaft auf diesem Boden. Einer der ersten Könige Spaniens, ein griechischer Fürst, führte — so lautet die Chronik — bei der Zerstörung des ersten Tempels von JerusalemHauptstadt des antiken Königreichs Judäa und heilige Stadt des Judentums. Der erste Tempel wurde 586 v. Chr. durch die Babylonier unter Nebukadnezar II. zerstört. eine Menge aus den Stämmen Juda und Benjamin, auch Priester und Leviten, hierher, — sie folgten ihm freiwillig, halfen die Städte erbauen und benannten sie mit den Namen der Städte ihres Vaterlandes, Städte, die noch heute die schönsten Edelsteine in der spanischen Krone sind. Das alte ToledoHistorische Stadt in Zentralspanien, die unter verschiedenen Herrschern eine wichtige kulturelle und politische Rolle spielte und ein bedeutendes Zentrum jüdischen Lebens im mittelalterlichen Spanien war., MakedaMöglicherweise eine Anspielung auf eine biblische Stadt oder eine spanische Stadt mit hebräischem Namen., AscalonaVermutlich eine Anspielung auf die biblische Stadt Aschkelon, die hier als Namensgeberin für eine spanische Stadt dargestellt wird., LucanaMöglicherweise eine fiktive oder historische Stadt in Spanien mit hebräischem Ursprung. verdanken ihnen ihren Ursprung, sie alle tragen die Benennung der geweiheten Orte eines Landes, das uns Allen heilig ist. Und so schön fanden sie das neue Vaterland, so befreundet wurden sie mit seinen Bewohnern, daß sie die Rückkehr nicht verlangten, als auf das Wort des PerserkönigsBezieht sich auf Kyros II. (559-530 v. Chr.), den Gründer des persischen Achämenidenreiches, der den Juden 539 v. Chr. die Rückkehr aus dem babylonischen Exil nach Jerusalem erlaubte und den Wiederaufbau des Tempels gestattete. ein zweiter Tempel in Jerusalem von den aus der Gefangenschaft an den Wassern BabylonsBezieht sich auf das babylonische Exil (586-539 v. Chr.), während dem ein großer Teil der jüdischen Bevölkerung nach der Zerstörung des ersten Tempels nach Babylon deportiert wurde. Zurückkehrenden erbaut wurde. Unter den Citronen und Granaten an den Ufern des TejoFluss auf der Iberischen Halbinsel, der in Spanien entspringt und durch Portugal in den Atlantik mündet. konnten sie die Cedern LibanonsGebirge im heutigen Libanon, berühmt für seine Zedern, die auch beim Bau des Salomonischen Tempels verwendet wurden. vergessen, hier fanden sie den ParadiesapfelVermutlich eine Bezeichnung für den Granatapfel, der im Judentum symbolische Bedeutung hat. und die Myrthe zum Bekränzen ihrer Lauben; als freie Männer schmachteten sie nach keiner Erlösung und vergaßen das Vaterland, wo doch jetzt die göttliche BundesladeDas heiligste Objekt im Judentum, ein vergoldeter Holzkasten, der die Steintafeln mit den Zehn Geboten enthielt. Die Bundeslade verschwand mit der Zerstörung des ersten Tempels. verschwunden war und die Heiligthümer fehlten. So alt ist unser Geschlecht auf dem Boden, den wir jetzt verlassen sollen. Wo ist ein Land, das uns solche Erinnerungen darböte, als das Vaterland? wo die Nation, an die sich eine tausendjährige Geschichte knüpfet, als die hispanische? Und, verzeihe mein König den Worten seines Knechtes, — wir waren nicht unwürdige Bürger dieser Königreiche; nicht vergebens war das Zusammenleben meiner Nation mit dem edelmüthigen und tapfern Volke dieses Landes. Wenn anderswo Israel, unter der Bedrückung barbarischer Völker in den Schlamm der Unwissenheit und des Aberglaubens versunken, sein Leben mit niedrigen Handlungen befleckte und den Schmutz der Sklaverei mit sich herumtrug, es war bei uns anders. Wir haben die Wissenschaften und Künste gepflegt, die den Geist des Menschen veredeln, mag er den höchsten Gott in dieser oder jener Gestalt anbeten, unsere Akademieen blühten zu CordovaCórdoba, Stadt in Andalusien, die während der maurischen Herrschaft ein bedeutendes Zentrum der Wissenschaft und Kultur war, mit einer blühenden jüdischen Gemeinde., Toledo, BarcelonaWichtige Hafenstadt in Katalonien, die auch ein Zentrum jüdischer Kultur und Gelehrsamkeit im mittelalterlichen Spanien war., es lehrten hier Männer, deren Namen die entferntesten Nachkommen mit Ehrfurcht nennen werden. König Alphons der WeiseAlfonso X. (1221-1284), König von Kastilien und León, bekannt für seine Förderung von Wissenschaft, Kunst und Literatur. Er ließ zahlreiche Werke aus dem Arabischen ins Kastilische übersetzen und beschäftigte viele jüdische Gelehrte an seinem Hof. verschmähte es nicht, sich mit unsern Weisen zu umgeben, die erhabenen Herrscher Castiliens, Sancho III.Sancho III. (1134-1158), König von Kastilien, der für eine relativ tolerante Politik gegenüber religiösen Minderheiten bekannt war., Alphons XI.Alfonso XI. (1311-1350), König von Kastilien und León, der trotz der zunehmenden antijüdischen Stimmung in Europa jüdische Beamte und Berater beschäftigte., Heinrich II.Enrique II. (1334-1379), König von Kastilien und León, der trotz seiner gewaltsamen Machtergreifung, bei der auch viele Juden umkamen, später eine gemäßigtere Politik gegenüber der jüdischen Bevölkerung verfolgte. schützten uns gegen ungerechte Angriffe, die AlmoxarifsVom arabischen "al-mushrif" abgeleiteter Titel für Steuerbeamte oder Schatzmeister im mittelalterlichen Spanien, eine Position, die oft von Juden bekleidet wurde., die sie aus unserer Mitte wählten, büßten ihre Treue in der Verwaltung des Staatseinkommens nicht selten mit ihrem Leben. Ein Höfling zeigte der Gemahlin Heinrichs eine kleine Synagoge, neben einer Kirche stehend, mit der Bemerkung: Seit langen Jahren stößt die kleine Synagoge an unsere Kirche und jedes Volk betet hier ungestört seinen Gott an; und die Königin erwiederte: Wohl denn, mögen die Synagoge und Kirche fernerhin sich berühren, bis sie beide vor Alter zusammenstürzen! Bewunderungswürdige Worte im Munde der spanischen Königin. Der spanische Jude, mein König, verabscheut das niedere Gewerbe des Wuchers und das eigennützige Streben nach kleinlichem Gewinn. Im ganzen Königreiche kann kein Grande, HidalgoAngehöriger des niederen spanischen Adels. oder Bürger auftreten, der einem Juden verschuldet ist; Beweis genug für das reine Verhältniß zwischen beiden Nationen und für den Wohlstand, den meines Königs väterliche Regierung zu verbreiten wußte und an dem wir männiglich mitarbeiteten. Und diese beispiellose Aechtung von fast einer Million Menschen, wird sie zu Spaniens Wohlfahrt beitragen? Wo kann ich Worte finden, das Unglück zu schildern, welches uns beträfe? Heerd und Eigenthum zu verlassen und in die lieblose Fremde verstoßen zu sein, die Bande der Familie, die hier den Juden mit dem Christen vereinen, zerrissen, dem Mangel und Elend preisgegeben, die Stätte zu meiden, wo unsere Väter in den Gräbern ruhen, eine Auswanderung so vieler Gedrängten, — das königliche Herz Ferdinands und Isabellens, würde es dieses Elend ertragen? die Städte werden leer und still werden, wenn ihnen Tausende betriebsamer Menschen fehlen, der Wohlstand wird sinken, da das Rad ausgebrochen wird, welches Handel und Gewerbe in Bewegung setzte, und die Religion, mein König — die Religion, für die dein Herz glühet, kann sie ihre mächtige Wurzel schlagen, wenn die Pforten des Elends eröffnet werden, wenn Habgier und Nachsucht, Treulosigkeit und Schande, wenn die Verzweiflung sich der Herzen der Niedrigen bemächtigen? Erheischt das Vaterland Opfer, — wir sind bereit, sie zu bringen, wir wollen Gut und Blut einsetzen. Mein königlicher Herr! Ich habe im Vorsaale den kühnen Mann gesehen, der seit Jahren von Hof zu Hofe wandert, und den Völkern auf unbefahrnen Meeren einen Weg nach dem reichen IndienBezieht sich hier auf Christoph Kolumbus und seine Pläne, einen westlichen Seeweg nach Indien zu finden, was schließlich zur Entdeckung Amerikas 1492 führte. öffnen will, — was ihn die tiefste Wissenschaft lehrt, das auszuführen besitzt er den hohen Muth, — der Spanier will dem PortugiesenBezieht sich auf die portugiesischen Entdeckungsreisen unter Heinrich dem Seefahrer und seinen Nachfolgern, die den Seeweg um Afrika herum nach Indien erkundeten., dessen Schiffe vor nie gekannten Inseln ankern, und der der Wunder viele aus den entdeckten Ländern der erstaunten Heimath zubringt, nicht nachstehen. — Fehlt es dem königlichen Schatz an Mitteln, die der Krieg mit GranadaDie letzte maurische Hochburg auf der Iberischen Halbinsel, die 1492 von den Truppen Ferdinands und Isabellas erobert wurde. verzehrte, — nehmet mein Geld, mein Vermögen, meine Schätze, meine Häuser, rüstet die Schiffe aus, um Spaniens Ruhm und Macht zu mehren, was sind mir diese Opfer, wenn ich dafür den Rückgang des für uns so furchtbaren Befehls erstehe. Wie ich hier stehe, ich stehe für einen uralten Stamm, der tief in Spaniens Boden wurzelt, — reißt man ihn heraus, wahrlich! der Boden wird erbeben und das Erdreich den Schlund des Verderbens öffnen. Lasset uns den Boden, ich biete im Namen meiner Nation jedes Opfer, dessen das Vaterland von Nöthen, — ich biete alle unsere bewegliche Habe, — nehmt sie an, es ist eine kleine Gabe für die Luft der Freiheit, die von Hispaniens Bergen weht. Wir bedürfen keiner Schätze!"
Abarbanel war bei den letzten Worten auf die Kniee gefallen. Sie machten einen tiefen Eindruck auf die Herrscher und die Versammlung. Isabella war gerührt, Ferdinand hatte der Vortheil des Anerbietens umgestimmt; er reichte gnädig Abarbanel die Hand zum Aufstehen. Dessen thränenvolle Augen blitzten vor Freude, — da trat TorquemadaTomás de Torquemada (1420-1498), der erste Großinquisitor der spanischen Inquisition, bekannt für seine Härte bei der Verfolgung von Konvertiten und seine Unterstützung für die Vertreibung der Juden aus Spanien. ergrimmt hervor, er hielt das CrucifixKruzifix, die Darstellung des gekreuzigten Jesus Christus, hier als symbolisches Machtinstrument der Kirche benutzt. dem König und der Königin entgegen, und sprach mit kaltem, aber fürchterlichem Tone: „JudasJudas Iskariot, der Jünger, der Jesus laut dem Neuen Testament für dreißig Silberlinge verriet. Hier nutzt Torquemada die Namensverwandtschaft zwischen Judas und den Juden für seine hasserfüllte Rhetorik. hat seinen Herrn zuerst für dreißig Silberlinge verkauft, Eure Hoheiten wollen ihn jetzt abermals für dreißigtausend Goldstücke verkaufen. Da ist er; nehmt ihn hin und verkauft ihn eilends!"
Ein starrer Schrecken malte sich auf allen Gesichtern. Ferdinand und Isabella küßten das ihnen dargebotene Kreuz. Sie verließen den Saal, hinter ihnen das Gefolge. Abarbanel stand im glänzenden Königsaal allein.