So umgebt ihr mich noch einmal Kampf und Belagerung, denen ich auf immer entrückt mich wähnte. Wieder bedeckt der Helm das Haupt, umschließt der Panzer meine Glieder, füllt das Schwert die Faust. Am Fuße der schützenden Mauer wühlen die feindlichen Massen, der WidderkopfEine Belagerungswaffe, die zum Einbrechen von Toren und Mauern verwendet wurde. zerschlägt das Gestein, die Katapulte und BallistenAntike Belagerungswaffen zum Schleudern von Steinen und Pfeilen. schleudern ihr Geschoß. Ich stehe droben, und schaue ruhig ihr Arbeiten. Was traurige Erfahrung, was sinnende List an die Hand gibt, vollführe ich. Herabgelassene Säcke hindern die Gewalt der Stöße, siedendes Oel strömt auf die Köpfe der Stürmenden, brennende PechkränzeMit Pech getränkte Kränze, die als Brandgeschosse verwendet wurden. fliegen auf die Schultern der Herandrängenden. Ich stelle mich an die Spitze erlesener Jünglinge, in der Stille der Nacht öffnet sich eine Pforte, und herausstürme ich, das Schwert in das Herzblut der Feinde senkend. Mit Erfolg gekrönt kehren wir zurück. Doch nicht für Juda kämpfe ich, nur für Juden. Kein höheres Gut, nicht das göttliche Heiligthum, nicht der Freiheit Hochgefühl, nicht des Stammes Selbstständigkeit — nur das nackte, traurige Leben und die glühende Rache erstreit' ich. Dennoch wohl mir! Ich habe mich wieder gefunden! Als ich heraustrat an der Hand Schulamith's aus dem unterirdischen Gange in den erleuchteten Hof, als die Brüder mich erkannten und in Freudengeschrei ausbrachen, als ich die wüthenden Feinde erblickte, die unsre Mauern rasend umjagten, als sie Scheiterhaufen uns gegenüber errichteten, und unter Spottgesängen die gefangenen Frauen, Kinder und Greise verbrannten, als die Tausenden innerhalb der Synagoge in einem Schrei um Rettung riefen: da wachte es auf in meiner Brust, es zersprang das eherne Band, das mein Herz umschlossen und zusammengepreßt, es schwoll die alte Wuth wieder herauf, herauf, die Sehnen des Arms spannten sich, Feuer entsprühte den Augen, und die Zähne knirschten zusammen. Ich bin wieder Mensch worden zu Menschen. Ich will wieder, mit aller Spannkraft der Seele.

Und dennoch, was wollen wir? Die Noth ist aufs Höchste gestiegen. Drei Tage sind unter unaufhörlichem Kämpfen, unablässiger Abwehr verflossen, die Feinde rücken vorwärts, wir zurück. Die Speise ist ausgegangen, die CysterneEin in den Boden gegrabenes Sammelbecken für Regenwasser. leer, der Arm erschlafft. Sie haben hinausgesandt, Boten, zum Unterhandeln. Aber die Boten wurden, ohne gehört zu sein, zu Tode gemartert, vor unsern Augen, unser Schicksal uns verkündend. PelusDer römische Prokonsul, der die Belagerung leitet., der grimmige Prokonsul, zeigt drohend und mit wüthender Geberde auf mich, wenn er mich erblickt auf der Mauer; dann richten die Bogenschützen ihre Pfeile auf mich, die Wurfgeschosse fliegen auf mich ein — aber sie prallen ab vom Panzer und verfehlen ihr Ziel. — Und ihr seid nicht Juden von Jerusalem, ihr Männer von Antiocheia: Drinnen im Hofraum sitzen sie wehklagend. Gern gaben sie mich und alle für ihre Erhaltung. Aber der mordtrunkene Sieger verlangt Alle zum Opfer. Wenn die Grundpfeiler des Gebäudes wanken, jammern sie auf, wenn ein Balken von den erzitternden Zinnen stürzt, heulen sie empor. Nur Schulamith, ihren greisigen Vater stützend, wandelt umher und ermuthigt die Bebenden. Sie erinnert an den Gott Israels, der mit Hülfe nahe ist, sie spricht vom rettenden Tode, der Schmach und Druck beendet, sie erzählt von den Helden Jotapat'sEine jüdische Festung, die im Jüdischen Krieg gegen die Römer fiel. Bei ihrer Eroberung begingen viele Verteidiger Selbstmord, wie von Josephus berichtet wird., die sich dem Tode statt dem Feinde gegeben. Aber sie hören unwillig, und schmähen sie und Gottes Verhängniß.

Es ist wieder Nacht geworden, und das dunkelblaue Zelt des Himmels mit Sternen besät. Draußen und drinnen ist es still geworden. Die Mordlust und die Verzweiflung schlummern beide, nur durch die Mauer getrennt. Ich lehne mich an einen Vorsprung des Eckthurms und schaue hinaus. Dort im Mittag liegt die Trümmerstätte Jerusalems in weiter Ferne, und auf ihr ruhen die Kämpfer und die Geschlachteten, unbegraben, ein Fraß der SchakalsKleinere Raubtiere, ähnlich Wölfen, die oft als Aasfresser dargestellt werden. und Geier. Ich sinne nach, was werden wird aus Israel, von dem ein Glied nach dem andern dem Schwerte anheimfällt, aus dessen unverharschten Wunden immerfort das wärmste Herzblut strömt. Laut rufe ich in die Nacht: Wo bist du nun Israel? Nirgends. Wo deine Heimath? Nirgends. Wo dein Mittelpunct? Nirgends. Ist das Juda, was da als Bröckelgestein geworfen ist über Süd und West, ein Körnlein überall hin? Bist du gewandert vom NilosDer Nil, der längste Fluss Afrikas, der durch Ägypten fließt., hast du gekämpft und gelebt durch anderthalb Jahrtausende, um nun als zitternder, zagender Greis unter die Völker zu wandeln? Was solltest du? was sollst du? wie lange wirst du noch sein? Wozu? Verstehet dich Jemand? dein Seufzen wie dein Weinen, deine Kunde und deinen Glauben? Spotten sie nicht alle deiner? der stolze Römer, der eitle Grieche, der sklavische Syrer, der versteinerte Aegypter? Was sollst du ihnen bei ihnen? Willst du dich nicht verlassen, wie dein Gott?...

Eine sanfte Hand legt sich auf meine Schulter. Du bist es, Schulamith. "Der Retter wird kommen, flüstert sie mir zu. DavidKönig David, hier als Symbol für den erwarteten Messias., der Gesalbte, der den Stuhl auf ZijonZion, einer der Hügel Jerusalems, oft als Symbol für Jerusalem selbst oder für das jüdische Volk verwendet. wieder aufrichtet. Ein Sproß wird ausgehen aus Jischai'sIsai, der Vater von König David, auf den sich messianische Prophezeiungen beziehen. Stamm, und zum Zepter werden über die Heiden. Weißt du das nicht?" Ja, Schulamith, morgen kommt der Erlöser: wir werden morgen sterben. Morgen gen Abend werden die Mauern sinken, und Römer und Syrer über sie einziehen. "Und was liegt daran, wenn wir sterben? Sind wir Israel? Erkühnst du dich, dich zu halten für eine Säule Juda's? Ja, wir werden sterben, morgen, übermorgen sterben — aber Israel ist des Herrn Volk auf ewig, wie Sonne und Sterne des Herrn Leuchten auf immer. Israel lebt stets." Ja, es lebt. Aber ein Leben des Sklaven, den der Herr mit Füßen tritt, ein Leben des Jochthiers, das die Stachel des Treibers fühlt, mit verbundenem Maule, das Leben des Hundes, der den Speichel leckt deß der ihn schlägt. So Israel ist ein Volk von Krämern und Wanderern, was kann der Herr aus ihm machen? Aus Felsen schlug MoschehMoses (hebräisch: Mosche). Wasser, aber welch' Lebensstrom kann fließen aus geknechteten, niedergedrückten und zerschlagenen Menschen? — "Amnon, aus dem Sande wächst das Gold; aus den dunkelsten Wolken fährt der Blitz. Amnon, der Mensch ist groß, nicht in Purpur und auf den Stühlen des Glücks, sondern im Gewande des Elends. Schlage dein Volk nicht selbst mit eigener Ruthe. Der Wandrer Abraham ward zum Fürsten der Erkenntniß, der verknechtete Joseph zum Herrn der Völker, der Hirt David zum Sänger des Glaubens. In Israel stirbt die Kraft des Geistes nicht. Immer zerbricht sie die Fessel, ersteht aus dem Staube, und erhebt ihr Haupt zu den Sternen. Siehe, der Kluge vertheilt sein Gut hierhin und dorthin, so er es nicht bergen kann bei einander. Wird das Eine geraubt, bleibt das Andere ihm wohlverwahrt. Es kommt eine stürmische Zeit über die Welt, aber Israel überdauert sie, weil es nicht getroffen wird an Einem Orte. Dann, wenn die Zeit voll ist, wird der Herr kommen. Willst du verlangen, bis dahin zu leben?..."

Schulamith, Friedensbotin, auch du sollst sterben? Rette dich, Jungfrau, durch den Gang, den wir gewandelt. Der Hain der Daphne ist jetzt verlassen, du kannst ihn sicher durchschreiten. "Jener Gang ist entdeckt und verschüttet. Als man dich suchte, fand man ihn. Dies befürchtete ich, und ließ ihn vermauern." O, vermöcht' ich dich zu retten! Mein Blut soll willig fließen, meine Hand nicht erlahmen, mein Fuß nicht ermüden. Meine Mariamne sah ich sterben, soll ich dich auch sehen in des Römers Gewalt? "Laß mich, Amnon, in der Stunde der Gefahr werd' ich die rechte Rettung finden. Morgen schau' ich auf dich, so du gefallen bist, dein Haupt gesunken, dein Auge gebrochen: werde ich dir folgen zu deiner Mariamne und deinem Säugling."

Sprach's, und war verschwunden im Dunkel der Nacht.